„Darf ich mal fragen “, wendet sich Bastian an die Schulministerin, „was Sie eigentlich entscheiden dürfen?“ Lauter Beifall der Mitschüler zeigt, dass er damit genau den Punkt getroffen hat. Schon über eine Stunde dauert das Gespräch an jenem Tag im September 2001, und wenn die Schüler diskutieren, was an der Schule in Nordrhein-Westfalen vielleicht zu verbessern wäre, bekommen sie oft nur die Antwort, das sei eine Angelegenheit der Stadt, der Schulaufsicht, der Fachkonferenz oder des Schulleiters, keineswegs aber eine Sache des Ministeriums.

„Nein, sie sind wahrlich nicht auf den Mund gefallen, die Schülerinnen und Schüler des Grafschafter Gymnasiums“, hieß es am nächsten Tag in der NRZ/WAZ. So ist es. Jedenfalls in den vielen Veranstaltungen unserer Reihe GGM im Gespräch. Darin sprechen Oberstufenschüler mit Menschen, die etwas zu sagen haben. 

Zu Gast waren bisher:

  • die NRW-Schulministerinnen, Frau Behler, Frau Schäfer, Frau Sommer, Frau Löhrmann und Frau Gebauer
  • weitere Politiker verschiedener Fachgebiete (Europa-, Finanz- oder Bildungspolitik),
  • der damalige Bundestrainer Michael Skibbe,
  • ein Schriftsteller,
  • ein Verleger,
  • ein Chefredakteur,
  • der Manager eines Fußball-Bundesligavereins,
  • Weihbischof Wilfried Theising,
  • Präses Nikolaus Schneider,  
  • Paul Spiegel, der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, 
  • ein Wirtschaftsprofessor,
  • der Präsident des Verbandes deutscher Banken,
  • der Pädagoge Bernhard Bueb, 
  • Rogel Rachmann von der Botschaft des Staates Israel in Berlin, 
  • Thomas Helmer,  
  • Prof. Klaus Hurrelmann,
  • Dirk Heidenblut aus dem Gesundheitsausschuss des Bundestages,
  • der Stauforscher Prof. Michael Schreckenberg und zuletzt Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Natürlich geht es zumeist nicht so kontrovers zu wie in dem Gespräch mit der damaligen Schulministerin. Immer aber ist unser Team gut vorbereitet. Die Schüler haben im Unterricht überlegt, welche Fragen und Themen sie mit dem Gast besprechen wollen. Immer gerät die Liste dabei so lang, dass Fragen offen bleiben. Das muss aber auch so sein, schließlich wäre es umgekehrt doch recht merkwürdig, wenn wir auf halber Strecke plötzlich sagen würden „Das war´s. Vielen Dank. Jetzt wissen wir nichts mehr“.

GGM im Gespräch gibt es seit dem Februar 2000. In dieser Zeit hat sich die Art der Gesprächsführung entwickelt, heute haben wir eine recht einheitliche Dramaturgie. Mit dem Gast auf der Bühne sitzen eine Chefin und ein Chef, also eine Schülerin und ein Schüler, die die Veranstaltung leiten, und das in jeder Hinsicht. Alle Schüler im Saal dürfen sich äußern, im Vorbereitungsteam gibt es aber Experten für die einzelnen Themen, unter uns sprechen wir meist von Fragenpaten. Sie äußern sich nicht unbedingt selbst, achten aber darauf, dass ihr Gebiet nach Möglichkeit zum Zuge kommt. Lehrer sind nicht redeberechtigt. Auch ich greife in aller Regel nicht ein, schließlich läuft der Trainer ja auch nicht auf das Spielfeld. Vorher geklärt haben die Schüler, womit das Gespräch beginnen soll und was sich besonders gut für den Schluss eignet.

Natürlich weiß man vorher nie, was dann wirklich passiert, es ist „fast wie im richtigen Leben“ . Aber das ist doch gerade das Reizvolle daran.

Wird der Gast sich eher präzise oder eher allgemein äußern? Neigt er zu langen Ausführungen, gar zu langatmigen? Sollen die Chefs auf der Bühne um Kürze oder genauere Erklärungen bitten? Wann ist der richtige Zeitpunkt, das Thema zu wechseln?

Gerät das Gespräch ungewollt zum Interview? Das passiert besonders leicht, wenn das Thema kompliziert ist oder die Gesprächspartner oft der gleichen Meinung wie die Schüler sind.

Die Menschen, die etwas zu sagen haben, haben auch einen vollen Terminkalender. Trotzdem sind fast alle, die wir gefragt haben, zu uns ans Grafschafter gekommen. Es braucht nur etwas Geduld und Geschick, einen Termin zu finden. Sollte einmal ein Gast einen Besuch um zwei Uhr nachts vorschlagen, machen wir auch das möglich. Ganz so weit ist es zwar noch nicht gekommen, aber an einem Freitag im Februar 2010 begann unser Gespräch mit Jan Schindelmeiser um zehn Uhr abends und dauerte bis kurz vor Mitternacht. Der damalige Manager des Bundesligisten TSG Hoffenheim war mit seiner Mannschaft erst kurz zuvor eingeflogen, auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel im Ruhrgebiet. Auf der Bühne in unserer Aula zeigte er sich dann in guter Form und führte ein lebhaftes, offenes und unterhaltsames Gespräch mit den Schülern. Die hatten auf das Plakat geschrieben:                            

Hoffenheims kapitaler Aufstieg.

Zu GGM im Gespräch gehören nämlich auch eine Plakatreihe und jeweils ein Motto. Beispiele?

Pilotjahrgang 2007 – Höhenflug oder Zentralab(i)sturz?                       (Einführung des Zentralabiturs)                    

Glühbirnen im Eimer – Gurken im Gesetz (Die Politik der EU)

Außergewöhnlich in macherlei Weise war der Besuch von Paul Spiegel. Dieses Gespräch über Juden in Deutschland war die am meisten gesicherte Veranstaltung, die es je an unserer Schule gegeben hat. Vor Beginn untersuchte ein dafür ausgebildeter Polizeihund den Raum auf Sprengstoff. Dann waren vier Sicherheitsbeamte bei dem Gespräch anwesend, auf den Fluren und dem Schulhof uniformierte Polizei.

Das alles war aber nicht der Grund, warum die Schüler anders reagierten als sonst. In ihrem Stufenforum merkten sie selbstkritisch an: „Wir waren schon mal besser.“ Sie waren einfach zu vorsichtig, aus Furcht vor unpassenden Formulierungen bei diesem sensiblen Thema. Der einzige, der das völlig entspannt anging, war Paul Spiegel selbst.                                                

Das größte Fettnäpfchen hatte indes vorher schon ich selbst erwischt. In einem der vielen Vorgespräche bat mich eine der freundlichen Mitarbeiterinnen im Büro des Zentralrates um das Aktenzeichen. Mit dem Brief in der Hand fing ich an vorzulesen, erfuhr dann aber, das sei das jüdische Datum.

Bis vor kurzem hatten wir noch kein Gespräch über Kirche, Glaube und Religion, und das sollte sich in diesem Frühjahr ändern. Viel zu diskutieren gab es mit Weihbischof Wilfried Theising vom Bistum Münster und mit Präses Nikolaus Schneider, dem Vorsitzenden des Rates der EKD. Dabei hatte es „der erste Protestant im Land“ (WAZ) ein wenig leichter als der Weihbischof, gegenüber den Schülern die Position seiner Kirche zu vertreten. „Wenn die Schüler in ihrer Fragerunde auch stets höflich und betont sachlich blieben, so schenkten sie dem 47-jähigen Gottesmann aus Borken dennoch nichts.“ (RP)

Das etwa 35-köpfige Vorbereitungsteam von GGM im Gespräch arbeitete in dieser Zeit im Akkord. Wir wollten gerne die Politikerin Helga Trüpel aus Bremen noch bei uns haben, sie ist Mitglied im Parlament der Europäischen Union – und sie ist eine frühere Schülerin des Grafschafter Gymnasiums.

Absagen haben wir natürlich auch bekommen, aber nur sehr wenige, erstaunlicherweise vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft. „Ich würde solche Termine sehr gerne wahrnehmen, aber ich plane im nächsten Jahr ein neues Buch und da muss ich die noch verfügbare knappe Zeit so gut es geht auf dieses Projekt konzentrieren“, schrieb einer der fünf Wirtschaftsweisen. In der Redaktion eines Wirtschaftsmagazin hieß es „im kommenden Jahr keine Zeit für außerredaktionelle Dinge“. Tja, wer verlangt eigentlich von unseren jungen Leuten immer, mobil, flexibel und sonstwas zu sein?

Aber, wie gesagt, das sind Ausnahmen. Normal war so etwas: In meinem Lieblings-Eiscafe in Münster gibt es -wie es sich gehört- auch Zeitschriften. Dort fand ich im Spiegel ein Portrait von Helge Malchow, dem Verleger von Kiepenheuer und Witsch. Den brauchen wir, dachte ich, fragte ihn, und er sagte sofort zu.

Nach jeder Veranstaltung von GGM im Gespräch ist es wie nach einem Fußballspiel. Aktive und Zuschauer kommentieren Verlauf und Ergebnis und sind sich nicht immer einig. Ist der Gast genau genug auf unsere Fragen eingegangen oder hat er eher ausweichend geantwortet? So etwas wird manchmal unterschiedlich wahrgenommen.

Klar ist jedoch allen Mitmachern, dass sie etwas gelernt haben, für das Leben draußen.